NETSCAPE 8
Pimp my FirefoxVon Frank Patalong
Darauf, dass Netscape - gescheiterter Liebling der Web-Gemeinde - noch einmal ein interessantes Produkt auf den Markt bringen würde, hätte noch vor wenigen Wochen kaum jemand einen Cent gesetzt. Jetzt gibt es eine Betaversion von Netscape 8 - und einige Überraschungen.
Was viele Nutzer für Microsofts Internet Explorer MSIE einnimmt und von der Nutzung alternativer Browser Abstand nehmen lässt, beruht auf einer krassen Fehlwahrnehmung: Anscheinend ist es so, dass Alternativbrowser manche Seiten, die MSIE problemlos darstellt, nicht korrekt zeigen können. Daraus schließen viele Nutzer, dass MSIE besser funktioniert.
Das Gegenteil ist der Fall. Microsoft hält sich bei seinen Internet-Programmen nicht an die von internationalen Organisationen vereinbarten Web-Standards: Die sollen für einen kleinsten gemeinsamen Nenner sorgen, der gewährleistet, dass verschiedenste Programme über das Web problemlos kommunizieren können. Dazu gehört auch ein gemeinsamer Standard zur Programmierung und Darstellung von Webseiten.
Microsoft aber kocht da seit Jahren sein eigenes Süppchen, und weil der MSIE ein halbes Jahrzehnt lang mehr als 90 Prozent des Marktes beherrschte, "optimieren" manche Unternehmen ihre Seiten für den Microsoft Browser - sie brechen mit den Standards. Was also Alternativbrowser nicht darstellen können, sind streng genommen für den MSIE verfasste Fehler.
In Zukunft aber, verspricht Microsoft, wolle man sich an die Standards halten. Kein Wunder, denn der öffentliche Druck in dieser Hinsicht wächst: Gerade erst kündigte Yahoo an, künftig seine Seiten auch für Firefox optimieren zu wollen. Überflüssig, wenn man Microsoft Glauben schenkt: Der MSIE 7, der noch im Sommer 2005 erscheinen soll, werde Standard-konform sein. Darüber hinaus soll er endlich auch über viele der Dinge verfügen, die Browseralternativen ihren Nutzern seit langem bieten. Denn Opera, Mozilla, Konqueror, Firefox und Co. können faktisch mehr als der MSIE.
Zu dieser Riege der modernen, Tab-Browsing-fähigen, Popup-blockenden und mit zahlreichen nutzerfreundlichen Features ausgestatteten Browser will nun auch Netscape wieder aufschließen.
So mancher holt da tief Luft und lässt erst einmal einen Lacher vom Stapel: Schließlich vegetiert Netscape seit Jahren unter dem Dach von AOL. Der Provider-Gigant hatte das, was der aggressive Konkurrent Microsoft von Netscape übrig gelassen hatte, Ende der neunziger Jahre aufgekauft und verkommen lassen. Jahrelang wurde der Browser nicht oder nur zaghaft weiterentwickelt, das Entwicklerteam ausgedünnt.
Die Rettung für die Netscape-Technologie kündigte sich 1999 in der Gründung des Mozilla-Teams an: AOL übergab kurz darauf den Netscape-Quellcode an die Open Source Gemeinde. Der Mozilla-Browser entstand als Netscapes Erbe, doch aufgrund entsprechender Vereinbarungen profitierte auch Netscape davon und bot als Netscape 6 (ein voreiliger Schuss ins eigene Knie) und 7 (ein Achtungserfölgchen) eigene, mit der Corporate Identity aufgehübschte Versionen an.
Doch noch nicht einmal die Rabenmutter AOL machte sich zum Promoter für die Produkte der Tochter und setzte weiter wie eh und je auf Microsoft.
Und dann kam FirefoxDer Erfolg des Alternativbrowsers, einer stark abgespeckten Mozilla-Version ohne Mailprogramm und HTML-Editor, ließ alle anderen Browseralternativen in den Hintergrund treten. Firefox kann nicht mehr als beispielsweise Opera - aber er ist schick, schnell, schlank und zuverlässig.
Das aber ist Netscape 8 auch - im Großen und Ganzen.
Denn als Beitrag zur Entwicklung von Netscape 8 erntete das Netscape-Restteam die Früchte aus dem alten Mozilla-Deal. Eigentlich ist Netscape 8 nichts anderes als ein aufgebohrter, wenn man so will, getunter Firefox: MTVs "Pimp my ride!" lässt grüßen.
Und genau so wirkt Netscape 8 auch auf den ersten Blick: Nach dem mit 11 MB erfrischend kleinen Download entpackt sich Netscape zu einem mit immerhin 35 MB leicht dickeren Programmpaketchen als Firefox. Das liegt vor allem daran, dass Netscape über eine ganze Reihe von Funktionen verfügt, die Firefox nicht bietet. Die für MSIE-Nutzer vielleicht interessanteste: Netscape 8 kommt auch mit den auf MSIE abgestimmten, fehlerhaften Webseiten zurecht.
Das Programm erlaubt den Zugriff auf Webseiten nämlich nicht nur mit der Mozilla-typischen Gecko-Engine, sondern auch unter Zugriff auf die MSIE-Rendering-Engine. Das Ganze funktioniert sogar.
Popup- und Phishing-Blocker kennt man von Firefox - zumindest, wenn man alle Updates installiert hat. Als "ähnlich" wird den Netscape-Browser trotzdem kaum jemand empfinden.
Das fängt schon damit an, dass er schlicht anders aussieht: Über Geschmack lässt sich zwar nicht streiten, aber ob dieses Petrol-Türkis nun als "schick" durchgehen kann, scheint zumindest zweifelhaft. Wo Firefox optisch entschlackt, klar strukturiert und "einfach" daherkommt, erscheint Netscape 8 zunächst nahezu überladen. Auch das ist "Pimp my ride", doch mit einem feinen Unterschied: Das Ding ist nicht nur optisch aufgemotzt, es bietet tatsächlich mehr.
Ins Auge fällt beispielsweise die "Multi-Bar". Dahinter verbirgt sich die Vervielfachung eines Firefox-Features: Wie bei so einigen Browsern lassen sich bei Firefox Bookmarks zur permanenten Darstellung unter das Adresseingabefeld ziehen.
Netscape 8 aber erlaubt es, beliebig viele verschiedene Sätze solcher zusammengestellter Festlinks zu definieren, zwischen denen man per Klick auf ein kleines Nummernfeld (zunächst 1 bis 5) wechseln kann. Und damit nicht genug: In der Default-Einstellung kommen einige dieser Konfigurationen als "Aufklapp-Menüs" daher, hinter denen sich in RSS-Feed-Manier ständig frisch befüllte Nachrichtensammlungen verbergen. Die kommen natürlich von der Netscape-News-Seite, doch weitere Angebote dürften folgen.
Viel dran, viel drinKlingt schwurbelig und umständlich und das ist es im Vergleich zu Firefox ja auch erst einmal: Wo der Mozilla-Sprössling zu wenig Einstellmöglichkeiten hat, hat Netscape grässlich viele. Der Trend geht ja eher zum Minimalansatz - nur die großen Softwarefirmen wünschen sich was anderes: Von Google etwa hatte man eine Firefox-Version, wie sie Netscape nun vorlegt, seit längerem erwartet. Browser bieten sich an, als alternativer Desktop die Angebote eines Anbieters zu erschließen.
Denkbar ist zum Beispiel die Definition eines "Dienst-Browsers" im Gegensatz zum "Freizeit-Modus". In der ersten Konfiguration liefert Netscape im Ein-Klick-Verfahren die aktuellen Nachrichten und Börsendaten, im zweiten Modus - mit nur einem Mausklick umzustellen - das aktuelle örtliche Kinoprogramm und die Telefonnummern der Pizza-Taxis. Rein theoretisch, versteht sich, denn bisher ist die Betaversion natürlich ganz und gar auf die USA zugeschnitten: Wer in Boston lebt, bekommt seine Pizza, wer in Bonn wohnt, bleibt hungrig.
Logisch, dass Netscape die (konfigurierbare) Webmail-Adresse in der Toolbar präsentiert, dass der Browser Festplätze für alle möglichen Web-Anwendungen bis hin zum Online-Banking vorsieht. Klar, unter dem Strich sind das nur grafisch aufgewertete Links, die man in jedem Browser auch selbst setzen könnte. Trotzdem kann Netscape durchaus punkten: Wer seinen Browser relativ bequem auf seine Bedürfnisse zuschneiden möchte, wird all das zu schätzen wissen.
Dazu kommen Details. Das kleine "New Tab"-Lesezeichen am rechten Browserrand ist praktisch. Das sich am linken Bildschirmrand öffnende "My Sidebar" erschließt die Funktionen des Browsers noch einmal in Auflistungsform, wenn man will. Klar, dass auch der AOL Instant Messenger AIM direkt eingebaut ist, ICQ aber ebenfalls: Ein Programmwechsel zwischen Browser und Messenger entfällt.
Der Rest ist Geschmacksache. Ein besseres Produkt unter dem Namen Netscape hat es seit der Programmversion 3.7 nicht mehr gegeben: Nostalgiker und Web-Nutzer, denen Firefox nicht genug zum Spielen und Einstellen bietet, könnten Gefallen daran finden. Microsofts MSIE hat in Netscape 8 einen neuen Konkurrenten, und keinen kraftlosen. Bleibt abzuwarten, ob sich das herumspricht.
Für User in Deutschland wird Netscape 8 aber wohl erst dann wirklich interessant, wenn eine deutschsprachige Lokalisierung mit entsprechenden News- und Servicelinks vorliegt. Vielleicht gibt es bis dahin ja auch ein Nostalgie-Skin im alten Netscape-Gewand, damit man dieses grottenhässliche türkise Design loswird.
gefunden bei
http://www.spiegel.deWer's mit bunten Bidlern nachlesen will, geht
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